Sturm's Territorium - Die etwas andere Dinosaurierseite

Flucht

(by Indy Warclaw)



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Der Regen fiel so dicht, daß die Scheibenwischer des Lieferwagens kaum für klare Sicht sorgen konnten. „Verfluchtes Dreckswetter“, fluchte Bliss und schaltete einen Gang herunter. Zum Glück war es nicht mehr weit bis zu dem Gehöft.

„Einladen wie immer und weg!“ murmelte Bliss vor sich hin. „Kein Ding. Es wird völlig unverdächtig sein.“

Natürlich würde niemand ihn verdächtigen, es war lächerlich, das anzunehmen. Bliss war ein solider Bürger der Stadt und konnte gut von dem leben, was er mit seinem kleinen Kaufladen erwirtschaftete.
Und das Gehöft, zu dem er fuhr, lag so weit abseits der nächsten Ortschaft, daß dort nur selten andere Saurier auftauchten.

Bliss hatte diese Fahrten schon mehr als zwanzigmal ausgeführt, es würde auch dieses mal wieder klappen.

Trotzdem... dieses flaue Gefühl im Magen bei solchen Unternehmungen spürte der Megaraptor auch heute wieder mehr als deutlich.

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Das schlechte Wetter zwang Bliss dazu, wesentlich langsamer zu fahren als sonst, und so dauerte es fast eine halbe Stunde, bis er endlich an dem Gehöft ankam. Der Raptor sprang aus dem Wagen und lief so schnell er konnte durch den strömenden Regen auf das große Wohngebäude zu. Die Haustür stand bereits offen, und ein junges Iguanodon-Weibchen zog Bliss in das Haus und fiel ihm um den Hals.

„Endlich bist du da!“ Sie küßte ihn und sah ihn unsicher an. „Gab`s Probleme?“

Bliss schüttelte den Kopf. „Nur mit dem Wetter.“ Lächelnd drückte er dann das Iguano-Weibchen an sich. „Schön dich zu sehen, Jarva.“

Jarva führte ihn in das kleine, rustikal eingerichtete Wohnzimmer, wo ein großer Suchomimus auf der Couch saß.

„Hey, Bliss!“ begrüßte dieser ihn. „Wieder mal einkaufen, hm?“

Der Megaraptor zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Unter anderem, Mike“, lächelte er und seufzte vor Wonne, als Jarva ihm ungefragt einen großen Becher mit heißem Tee hinstellte. „Jarva, du verwöhnst mich mal wieder.“ Gierig nahm Bliss einen Schluck Tee. „Das ist bei so einem Unwetter das einzig Richtige.“

„Du verdienst das auch“, sagte Mike. „Ohne dich wären wir nicht annähernd so erfolgreich.“

„Ich tu halt nur mein Bestes.“

„Eben darum.“ Jarva schleckte Bliss liebevoll über die Schnauze. „Aber laß uns das Flirten mal kurz beiseite stellen und an das Geschäftliche denken. Was brauchst du heute Gutes?“

Bliss errötete leicht und holte einen zerknitterten Zettel aus seiner Hosentasche. „Laß mal sehen. Da wären zwanzig Stangen Brot... zehn Käselaibe... vierzig Salamis... 50 Kilo Rindfleisch... und frisches Gemüse, was du gerade so da hast.“

„Kriegst du. Ich lasse es auf deinen Wagen verladen.“

„Danke, Jarva. Daß mein Laden so gut läuft, liegt bestimmt zu einem sehr großen Teil an der hervorragenden Qualität deiner Waren. Meine Kunden sind immer zufrieden.“

Jarva schmunzelte. „Ich verwende halt nur die besten Sämlinge, die besten Schweine und Rinder, und alles wird auf biologische Weise angebaut und verarbeitet. Da weiß man wirklich, was man auf dem Teller hat.“

„Darum kaufe ich auch bei keinem anderen Lieferanten, nur bei dir.“ Bliss grinste, doch sein Grinsen verschwand, als er an seine eigentliche Aufgabe dachte. „Jarva... wieviele sind es dieses Mal?“

Da verwandelte sich auch Jarvas Lächeln in einen ernsten Gesichtsausdruck.

„Drei.“

„Okay... dann laß uns mal schauen.“

Jarva nickte und erhob sich. Bliss und Mike folgten ihr, als sie eine lange Treppe hinabstieg, durch einen verwinkelten Keller lief, der durch nackte Glühbirnen in ein kaltes Licht getaucht wurde, und schließlich eine kleine Tür erreichte. Das Iguano-Weibchen öffnete die Tür, und Bliss betrat den kleinen, stickigen Kellerraum.

Drei Menschen hockten hier, und ihre Gesichter zeigten deutlich, daß sie völlig verängstigt waren.

„Das ist die Familie Taylor“, sagte Jarva leise. „Die Regierungssoldaten hätten sie bei der heutigen Razzia fast erwischt. Sie konnten ihr Haus gerade noch verlassen und aus der Stadt flüchten. Mike hat sie in dem kleinen Wäldchen hinter meinem Hof gefunden.“

„Ich verstehe.“ Bliss sah sich die Menschen genauer an. Offenbar handelte es sich um Vater, Mutter und Sohn. Wobei Bliss den Sohn nicht älter als vierzehn Jahre schätzte.

Jetzt kam es darauf an diese Leute zu beruhigen, denn in Panik waren Menschen unberechenbar. Und Bliss konnte sich nicht die geringste Auffälligkeit erlauben, denn Patrouillen der Regierungstruppen konnten überall und zu jeder Zeit auftauchen.
Vorsichtig kniete Bliss sich zu der Frau der Menschenfamilie, die verängstigt auf dem Boden kauerte.

„Mrs. Taylor? Mein Name ist Bliss. Sie brauchen keinerlei Angst zu haben. Ich bin hier, um Sie rauszuholen.“

Behutsam nahm er ihre rechte Hand, an deren Ringfinger die Frau einen großen, goldenen Ring trug. Das Menschenweibchen zitterte am ganzen Körper. „Wir wissen, daß Sie schon eine Menge hinter sich haben.“ Bliss bemühte sich, seine Stimme so sanft wie nur möglich klingen zu lassen. Natürlich hatten diese Menschen furchtbare Angst, ihm würde es in ihrer Situation bestimmt nicht besser gehen. „Sie müssen jetzt nur noch diese Sache durchstehen, dann haben Sie es geschafft.“

„Du weißt nicht, was geschehen ist“, schluchzte die Frau. „Sie haben alle geholt... die Nachbarn... alle.“ Die Stimme der Menschenfrau zitterte, aber Bliss mußte trotzdem lächeln. ALLE Menschen, die er herausgebracht hatte, hatten ihn von Anfang an geduzt. Das war irgendwie komisch.

„Mrs. Taylor, aber SIE hat man nicht erwischt“, sagte der Raptor. „Und wir werden dafür sorgen, daß Sie aus dem Land kommen.“

„Warum sollten wir euch trauen?“ Auch der Menschenmann schien den Tränen nahe zu sein.

„Weil Sie hier sind und immer noch leben, Mr. Taylor“, sagte Jarva. „Regierungstreue Saurier hätten Sie und ihre Familie längst getötet. Wir aber gehören nicht zur Regierung. Wir sind Rebellen. Sie werden uns vertrauen müssen, wenn Sie lebend hier weg wollen.“

Der Mensch lachte gequält auf. „Wir werden euch vertrauen müssen, weil wir wohl eher keine andere Wahl haben, stimmt`s?“ stieß er bitter hervor.

Jarva nickte. „Richtig... zumindest, wenn Sie Ihren nächsten Geburtstag noch erleben wollen.“

„Mr. Taylor, bitte!“ sagte Bliss ruhig. „Mein Job ist es, Sie aus dem Land zu bringen. Alleine werden Sie nicht über die Grenze kommen. Ohne uns werden Sie ganz bestimmt sterben.“

Der Mund des Menschenmannes zuckte. „Und wenn schon! Als ob euch das interessieren würde...“

„Mr. Taylor, verdammt, stellen Sie sich nicht an!“ schnaubte Jarva wütend. „Wenn es uns egal wäre, warum haben wir Sie dann hier versteckt? Wir gehen damit selbst ein Risiko ein, wir müssen hier immer damit rechnen, daß Regierungstruppen auftauchen und meinen Hof durchsuchen! Was meinen Sie wohl, was passieren wird, wenn die hier unten Menschen entdecken? Dann sind Sie UND wir dran!“

„So ist es“, sagte auch Mike. „Und darum können wir Sie hier nicht dauerhaft verstecken, Mr. Taylor. Das Risiko ist zu groß. Sie haben jetzt die Wahl: Entweder Sie vertrauen uns, dann wird Bliss Sie und Ihre Familie noch heute über die Grenze bringen. Oder Sie vertrauen uns nicht, dann werden wir Sie ganz einfach gehen lassen. Nur, sonderlich weit werden Sie kaum kommen.“

„Wir bieten Ihnen unsere Hilfe nur an.“ Bliss sah dem Mann fest in die Augen. „Zwingen werden wir Sie zu gar nichts. Es liegt bei Ihnen.“

Eine Weile war es still, doch dann nickte die Menschenfrau langsam. „Darling... laß uns mit dem Saurier mitgehen. Wenn es diese Chance gibt, sollten wir sie nutzen.“

Jarva lächelte. „Ihre Frau hat absolut recht, Mr. Taylor. Und Bliss ist von uns Rebellen einer der Erfahrensten. Wieviele Menschen hast Du schon rausgebracht, Bliss? Das müssen doch mehr als fünfzig sein.“

„Uh...“ Da mußte Bliss wirklich überlegen. „Das heute ist das... ich glaube dreiundzwanzigste Mal, daß ich Flüchtlinge hier abhole. Hmmm... doch, so um die Fünfzig bis Sechzig Menschen habe ich schon über die Grenze gebracht."

„Boah!“ machte der Menschensohn. „Und davon ist keiner erwischt worden?“

Bliss grinste breit. „Nicht einer! Ohne prahlen zu wollen, aber ich bin gut in meinem Job.“

Der Menschensohn riß die Augen auf. „Dad, hast Du das gehört? Wir wären doch wahnsinnig, wenn wir da nicht mitgehen würden.“

Der Menschenmann blickte starr vor sich hin, aber dann nickte er. „Wir haben keine andere Wahl.“

Behutsam nahm Mike den Arm des Mannes. „Das ist die richtige Entscheidung. Kommen Sie bitte mit.“

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Das Wetter hatte sich nicht gebessert. Der Regen peitschte fast waagerecht an die Scheiben, und obwohl Bliss` Lieferwagen nicht nur mit den drei Flüchtlingen, sondern auch mit Waren von Jarvas Hof beladen war, schwankte er unter den heftigen Windböen.
Bliss starrte angestrengt durch den Regen, um nicht von der Straße abzukommen, denn ein Unfall wäre jetzt, mit den drei Menschen hinten im Wagen, eine Katastrophe. Wenn dann eine Patrouille der Regierungstruppen auftauchte und die Menschen entdeckte... dann war alles aus. Dann würde man nachforschen, woher Bliss die Menschen hatte. Man würde bestimmt herausfinden, wo Bliss die Waren für seinen Laden kaufte. Und wenn erst einmal der Verdacht auf Jarvas Gehöft fiel... dann war es vorbei mit der Rebellenorganisation.

Diese Verantwortung spürte der Megaraptor nun schwer auf seinen Schultern lasten. „Wenn doch wenigstens dieses verdammte Wetter besser wäre“, murmelte er.

„Bliss? Wohin fahren wir denn jetzt genau?“ hörte er die Stimme des kleinen Menschenjungen durch das Fenster aus dem Laderaum.

„Zunächst zu meinem Haus. Wir müssen warten bis es dunkel wird, sonst hat es keinen...“

In diesem Moment wurde der Wagen von einer besonders heftigen Windbö erfaßt und an den Straßenrand gedrückt. Bliss riß das Steurrad herum, die Menschen schrieen, der Wagen geriet auf der regennassen Fahrbahn sofort ins Schleudern und drehte sich um 180 Grad, bevor Bliss ihn zum Stillstand bringen konnte.
Danach war sekundenlang nur das Tuckern des Motors im Leerlauf, das Wimmern der Menschen und das Heulen des Windes zu hören, während Bliss einfach nur das Lenkrand fest umkrampft hielt und ins Leere starrte. Nur langsam fand er wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Wir stehen... Es... es ist alles okay“, stieß er hervor. „Alles in Ordnung bei euch dahinten?“

„Ja...“ kam es schwach von dem jungen Menschen aus dem Laderaum. „Was... was war das?“

„Der verdammte Wind.“ Bliss zitterte am ganzen Leib. „Egal, wir müssen weiter.“

„Fahr um Himmels Willen vorsichtig!“

„Worauf Du wetten kannst“, murmelte der Megaraptor, legte mit zitternder Hand den Gang ein und gab vorsichtig Gas. Da der Wagen nun verkehrt herum auf der Straße stand, mußte Bliss erst wieder ein Stück zurückfahren, bevor er in einer Waldeinfahrt wenden konnte.

Bliss fuhr jetzt noch langsamer. Allzu weit war es ohnehin nicht mehr bis zur Stadt, und er mußte einen Unfall unbedingt vermeiden, mit den Menschen hinten im Wagen sogar mehr als je. Der Megaraptor war fest entschlossen, diese Menschen sicher zu seiner Wohnung zu bringen. Waren sie erst einmal dort, konnten sie sich in den Lagerräumen zwischen den Waren verstecken. Der Rest war dann nur noch ein Kinderspiel.

Plötzlich leuchtete es durch den Regen vorne auf der Straße rot auf. Im ersten Moment dachte Bliss an die Bremsleuchten eines vorausfahrenden Fahrzeuges, doch das rote Leuchten flackerte in einer gewissen Regelmäßigkeit auf, erlosch, flackerte wieder auf und so weiter.

Und es kam näher.

Es mußte natürlich nichts heißen. Die Schulbusse, die diese Gegend befuhren, hatten hinten solche roten Blinker. Oder auch die Fahrzeuge der Straßenwacht. Es konnte auch ein Baum durch den Wind entwurzelt worden und auf die Straße gefallen sein, und die Straßenwacht war nun dort im Einsatz.

Aber als Bliss sich dem roten Blinklicht langsam näherte, spürte er ein eisiges Gefühl in seinem Nacken. „Nein...“, murmelte er entsetzt. „Nicht jetzt das...“

Es war kein Schulbus, zu dem das rot blinkende Licht gehörte, und es war auch kein Fahrzeug der Straßenwacht. Stattdessen war es eine große rostfarbene Kombilimousine, die nur wenige Meter vor Bliss` Lieferwagen am Straßenrand stand.

„Runter mit euch!“ zischte Bliss den Menschen im Laderaum zu, als er mehrere Gestalten an der Straße stehen sah.

Es waren Regierungssoldaten!

„Aus!“ dachte Bliss nur noch. „Aus und vorbei!“

Er nahm den Fuß vom Gaspedal. Auf keinen Fall durfte er sich jetzt auffällig verhalten. Wenn die Soldaten ihn stoppten, mußte er stehen bleiben. Mit seinem Lieferwagen konnte er ihrem Wagen ohnehin nicht entkommen.

Bliss holte seinen Führerschein und die Fahrzeugpapiere aus dem Handschuhfach hervor, um sie sofort parat zu haben, wenn die Soldaten ihn anhielten. Kritisch wurde es nur, wenn sie verlangen sollten, einen Blick in den Laderaum des Wagens zu werfen. Aber selbst dann bestand die Chance, daß sie es nur oberflächlich taten, ohne die Flüchtlinge zu entdecken.

Wenn sie es aber NICHT nur oberflächlich taten...

„Was ist los? Was ist denn um Himmels Willen los?“ hörte Bliss die Menschenfrau aus dem Laderaum. Der Stimme nach stand sie kurz vor einer Panik.

„Ruhig, bleiben Sie jetzt bloß ruhig!“ zischte Bliss. „Da sind Soldaten! Keinen Mucks mehr, verstanden?!“

Die Menschenfrau wimmerte nur noch leise vor sich hin, während Bliss das Tempo verringerte, wobei er die Soldaten auf der Straße nicht aus den Augen ließ. Einer der Soldaten wandte sich ihm zu und hob eine Kelle mit einem roten Blinklicht.

„Scheisse...“ Bliss fuhr an den Straßenrand und stoppte. Jetzt sah er auch, was los war. Ein anderer Wagen war von der Straße abgekommen und lag halb im Graben. Die Soldaten waren anscheinend nur hier, um die Unfallstelle abzusichern.

„Dieser Vollidiot!“ dachte Bliss wütend. „Wenn der nicht von der Straße abgekommen wäre, dann wären keine Regierungstruppen hier, und ich könnte jetzt...“

„Hey! Was ist los? Schläfst du?“ riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Einer der Soldaten, offenbar ein Deinonychus, stand dicht vor dem Lieferwagen und gestikulierte wild mit seiner Kelle. „Fahr weiter!“

Erstaunt und mit weit geöffnetem Maul starrte Bliss auf den Deinonychus und hielt seinen Führerschein an die Windschutzscheibe.

Doch der Deinonychus schlug sich nur genervt an die Stirn. „Kerl, sieh einfach zu, daß du weiterkommst!“ Wieder wedelte er heftig mit seiner Kelle.

Das ließ sich Bliss nicht zweimal sagen. Der Motor brüllte auf, als der Megaraptor vor Nervosität zuviel Gas gab, dann fuhr der Lieferwagen langsam an dem verunglückten Wagen vorbei. Am anderen Ende der Unfallstelle stand ein weiterer Soldat, aber auch der winkte Bliss einfach durch und hatte offenbar keinerlei Interesse an einer Fahrzeugkontrolle bei strömendem Regen.

Nachdem er die Unfallstelle unbehelligt passiert hatte spürte Bliss erst, wie sein Herz ihm zum Halse schlug. Soviel Schwierigkeiten hatte er noch auf keiner Fahrt von Jarvas Hof erlebt.

„Fragt mich nicht wie, aber wir sind vorbei“ sagte Bliss heiser. „Oh, Mann. An dieser Fahrt ist wirklich alles dran.“

„Bliss...“ Die Stimme der Menschenfrau war unsicher, aber sie hatte ihn tatsächlich mit seinem Namen angeredet! „Es tut mir leid, daß du wegen uns solchen Ärger hast.“ Ihre Hand mit dem goldenen Ring wurde aus dem kleinen Fenster gestreckt und scheu auf die rechte Schulter des Raptors gelegt. „Ich möchte dir dafür danken! Mit deiner Hilfe schaffen wir es, da... da bin ich sicher!“

Bliss war überrascht und trotz seiner Anspannung durch diese Geste mehr als gerührt. Vorsichtig legte er seinen Kopf zur Seite und berührte mit seiner Wange die Hand der Frau.

„Wir schaffen es auch, Mrs. Taylor. Ich gebe Ihnen mein Wort.“

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Nach fast einer Dreiviertelstunde kam Bliss schließlich bei seinem Laden in der kleinen Stadt an. Wie immer fuhr er auf den Hof und rangierte den Lieferwagen so, daß er mit dem Heck direkt an den Toren zum Lager stand. Bliss sprang aus dem Wagen in den immer noch strömenden Regen, öffnete die Lagertore weit und fuhr den Lieferwagen ein Stück rückwärts in das Lager hinein. Selbst wenn man ihn beobachten sollte, was Bliss eigentlich nicht glaubte, würde dieses Verhalten kaum Misstrauen erregen. Es war ja klar, daß der Megaraptor den Wagen bei diesem Regen im Trockenen entladen wollte.

Bliss entlud den Wagen hastig, so daß die drei Menschen schließlich aus dem Heckraum steigen konnten. Der Raptor führte sie in einen kleinen Raum, der trocken und warm war.

„So, hier bleiben Sie erstmal“ seufzte Bliss erleichtert. Er konnte es immer noch nicht glauben, daß er die drei Menschen wirklich sicher hierher gebracht hatte.

„Wie lange?“ fragte der Menschenmann sofort. „Wie geht es jetzt weiter?“

„Mr. Taylor, ruhig Blut. Sie bleiben nur bis...“ setzte Bliss an, doch da ertönte plötzlich eine Klingel aus dem Laden. Der Raptor zuckte zusammen. „Kundschaft! Verflucht... hören Sie, bleiben Sie bitte hier. Rühren Sie sich nicht vom Fleck, und seien Sie leise!“

Bliss lief schnell durch das Lager zu seinem Laden, aus dem er von einer durchdringenden Stimme begrüßt wurde.

„Bliiiss!!! Huhuuuuu!!!“

Der Megaraptor verdrehte genervt die Augen. Diese Stimmlage kannte er zu gut.

„Aza...“ seufzte er. „Die hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Ich komme schon! Ich komme!“

Aza war ein T-Rex Weibchen, ganz nett zwar, aber unglaublich umständlich. Und Bliss wollte die drei Menschen nicht allzu lange alleine lassen, denn er spürte deutlich, daß sie Angst hatten.

Als Bliss in den Laden trat schlug das T-Rex Weibchen entzückt die Hände zusammen und stürmte auf ihn zu.

„Ach, da ist doch unser schöner Raptor endlich“, lachte sie und wackelte gespielt mit dem Zeigefinger. „Böser, böser Bliss! Läßt deine beste Kundin so lange warten!“

Bliss zwang sich zu einem Lächeln. „Hi, Aza. Sorry, war gerade am Ausladen. Was darf`s sein?“

Aza tat enttäuscht. „Oooch... du fragst mich ja gar nicht, wie`s mir geht. Dabei hatte ich heute soooo einen stressigen Tag! Diese Pfeifen vom Wetterdienst haben heute doch glatt nur einzelne, örtlich begrenzte Schauer gemeldet! Daraufhin habe ich meine Wäsche in den Garten an die Leine gehängt, und jetzt guck Dir das draußen an! Sind das örtlich begrenzte Schauer? Das sind Wasserfälle, das sind..."

Bliss zwang sich zur Geduld. „Aza, hör mal, ich habe nicht soviel Zeit. Ich muß ausladen, mein Tiefgefrorenes taut auf. Was brauchst du?“

Beleidigt sah das T-Rex Weibchen ihn an. „Bitte, wenn dir deine Waren wichtiger sind als ich!“ schnappte sie. „2 Kilo Rinderfilet.“

Hastig packte Bliss das Gewünschte ein. „Hier, Aza. Macht zweifünfundsechzig.“

Aza zog ihr Portemonnaie hervor. „So... hier sind eins, zwei Saurons... das Meiste haben wir ja schon... wieviel waren das jetzt noch?“

Bliss stöhnte. „Jetzt noch fünfundsechzig.“

„Okay... zehn... zwanzig... dreißig... du kannst doch Kleingeld gebrauchen?“

„Laß gut sein, Aza“, versuchte Bliss das T-Rex Weibchen abzuwimmeln. „Stimmt schon so.“

„Nein, nein... vierzig... fünfzig... ich hab`s gleich... sechzig... so... einundsechzig... zweiund...“

„Aza!“ Der Megaraptor konnte sich nicht mehr beherrschen. „Es ist OKAY! Du mußt jetzt nicht deine ganze Geldbörse durchforsten!“

Das T-Rex Weibchen funkelte ihn an. „Und DU warst auch schon netter, Bliss!“ Sie warf das Geld auf den Tresen, nahm das Fleisch und ging aus dem Laden.

„Ciao, Aza!“ rief Bliss. Er holte für die Menschen drei Flaschen Mineralwasser und einige Fertigsandwiches aus dem Kühlregal und eilte wieder in den Lagerraum.

Da ertönte erneut die Ladenglocke.

„Verdammt! Was ist heute bloß los?“ zischte Bliss zu sich. „Wer da?“

„Bliss?“ ertönte wieder Azas Stimme. „Ich wollte nur... hmm... ich wollte dir nur sagen... na ja... wegen eben... es ist so, daß... nun...“

Bliss heulte innerlich auf. „Was denn?“

„Ich wollte dir nur sagen, daß ich dir nicht böse bin, weil du eben so unfreundlich warst“, kam es schüchtern aus dem Laden.

Der Megaraptor seufzte. „Ist schon okay, Aza. Bis bald.“ Bliss hörte, wie Aza den Laden wieder verließ, und brachte die Lebensmittel dann zu den Menschen. „Nein, Mr. Taylor, die Sachen sind NICHT vergiftet“ sagte er ironisch, als er den misstrauischen Blick des Menschenmannes sah. „Und jetzt passen Sie auf. Wir müssen warten, bis es dunkel wird. Dann wird ein Freund von mir kommen, und wir beide werden sie dann hier raus bringen. Er kennt die Patrouillenzeiten der Grenzwachen ganz genau, mit ihm dabei kann kaum was schiefgehen.“ Der Raptor lächelte. „Das ist hoffentlich auch in IHREM Sinne, Mr. Taylor.“

Der Menschenmann schwieg und zuckte die Achseln. Da zog sich die Menschenfrau plötzlich ihren goldenen Ring vom Finger und hielt ihn Bliss hin. „Hier.“ sagte sie leise. „Nimm ihn. Er ist aus Gold... wir haben nichts anderes, um dich für das zu bezahlen, was du für uns tust.“

Sprachlos sah Bliss auf den Ring. In das Gold war ein T eingraviert. T für Taylor?

„Mrs. Taylor? Ist das etwa Ihr Ehering?“

Die Frau nickte stumm.

Bliss schüttelte den Kopf. „Das kann und werde ich nicht annehmen. Ich will keine Bezahlung, Mrs. Taylor. Ich komme schon auf meine Kosten.“ Vorsichtig steckte Bliss den Ring wieder auf den Finger der Menschenfrau.

Die Augen der Frau füllten sich mit Tränen, während Sie ein Lächeln versuchte. „Du hast das Herz auf dem rechten Fleck, Bliss.“ Zögernd näherte sie sich dem Kopf des Raptors, doch dann gab sie sich einen Ruck und küßte Bliss auf die Wange. Bevor der überraschte Megaraptor etwas sagen konnte, legte auch der Menschenmann ihm eine Hand auf die Schulter. „Danke.“ Er schien nach weiteren Worten zu suchen, fand sie nicht und nickte einfach.

Bliss sah daraufhin den kleinen Menschenjungen an und lächelte. „Und du? Was meinst du? Schaffen wir`s, oder schaffen wir´s nicht?“

Der Menschenjunge ballte seine Hände zu Fäusten. „Wir schaffen es!“ sagte er entschlossen. Er packte die Hand, die der Raptor ihm anbot, und drückte sie.

„Und genauso ist`s“, nickte Bliss.

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Der Tag verging nur langsam. Bliss stand in seinem Laden, bediente seine Kunden und versuchte sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Einmal spitzte sich die Situation zu, als plötzlich zwei Regierungssoldaten in seinen Laden kamen. Doch sie kauften nur Erfrischungsgetränke und verschwanden wieder.

Gegen Abend wurde Bliss langsam unruhig. „Wo bleibt der Kerl bloß?“ Er sah zur Uhr. Es war schon 22 Uhr durch, der Laden hatte längst geschlossen.

Heute schien auch alles schiefzulaufen!

Doch nur Minuten später hörte der Megaraptor einen Wagen auf seinen Hof fahren. „Endlich!“ Bliss lief zum Lagerraum und öffnete die Tür. Er sah, wie ein großer Saurier aus dem Wagen stieg und auf das Lager zukam.

„Mann, das hat ja gedauert!“ zischte Bliss.

„Tut mir leid, ich konnte nicht eher weg. Wir hatten viel zu tun.“

Bliss schnaubte. „Toll. Und ich verliere hier die letzten Nerven.“

„Gab`s Schwierigkeiten?“

„Frag nicht.“ Bliss winkte müde ab. „Das heute war jedenfalls erstmal die letzte Flüchtlingsaktion von mir, das kann ich dir sagen. Ich bin urlaubsreif.“

„Aber die drei Menschen sind doch hier?“

„Ja, sind sie. Aber auch erst nach `nem Beinaheunfall, Regierungssoldaten, nerviger Kundschaft...“

Der andere Saurier lachte. „Ach du Scheisse. Na, dann lass uns mal nicht länger warten. Sind die drei bereit?“

Bliss nickte. „Sind sie. Das Männchen kann es sogar kaum erwarten hier wegzukommen.“

„Das ist gut. Dann bring sie am besten einzeln raus, ich werde hier warten. Und seid bloß leise.“

„Mach ich.“ Bliss ging zu dem Raum, in dem die drei Menschen warteten. Er war plötzlich völlig ruhig. Und das obwohl die Flüchtlingsaktion jetzt erst richtig begann.

„So, ihr drei“, sagte er lächelnd. „Nun geht`s los. Alle bereit?“

„Ja. Laß uns gehen.“ Das Menschenmännchen sprang auf.

„Einer nach dem anderen, Mr. Taylor“ wehrte Bliss ab. „Sonst erregen wir zuviel Aufsehen. Kommen Sie erstmal alleine mit mir.“

Bliss führte den Menschen durch das Lager nach draußen. Er glaubte wirklich nicht, daß die Regierungstruppen seinen Laden beobachten ließen, aber Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Der andere Saurier nahm den Mann in Empfang und half ihm beim Einsteigen in den Wagen.

Nach kurzer Zeit war Bliss wieder im Lager. „So, Mrs. Taylor, nun kommen Sie.“

„Mein Mann?“

Bliss lachte. „Er ist schon im Wagen. Nach den ganzen Schwierigkeiten heute scheint es zumindest jetzt endlich problemlos zu laufen.“

Er blickte wieder auf den goldenen Ring der Frau. „Sie und ihr Mann sind ein sympathisches Pärchen, Mrs. Taylor. Kommen Sie jetzt. Und Du, kleiner Mann...“ Bliss wandte sich dem Menschenjungen zu. „Du hältst hier die Stellung bis ich wiederkomme, okay?“

Der Junge salutierte. „Aye, aye, Sir.“

Bliss lächelte und salutierte ebenfalls. Dann brachte er die Menschenfrau nach draußen zu ihrem Mann, und natürlich verlief auch das ohne Schwierigkeiten. Eigentlich hätte man die Menschen getrost zusammenlassen können.

Schließlich lief Bliss zurück zu dem Jungen.

„Bereit?“

„Ja.“ sagte der Junge mit fester Stimme.

Bliss beugte sich zu ihm runter und legte seine Hände auf die Schultern des Kindes. „Gut. Du bist ein ganz tapferer Junge, weißt du das?“

Der Junge strahlte ihn stolz an. Bliss nahm seine Hand, führte ihn durch die Lagerhaustür ins Freie und zu dem Wagen, in dem schon ein anderer Saurier saß.

Der Junge runzelte die Stirn. „Dich kenne ich! Bist du nicht... dieser Suchomimus vom Hof?“

Mike grinste belustigt. „Völlig richtig. Ich muß ja ein markantes Gesicht haben, deine Eltern haben mich auch gleich wiedererkannt.“

Der Junge lachte. „Sind meine Eltern schon im Auto?“

„Ja, wir haben nur noch auf dich gewartet“, sagte Mike leise. „Jetzt wird`s dann wohl ernst. Steig hinten ein und leg Dich hin, so wie Deine Eltern. Man darf euch um Himmels Willen nicht sehen.“

„Schon klar.“

Der Menschenjunge atmete tief durch, öffnete die linke Hintertür des Wagens und starrte auf seinen toten Vater, der mit weit aufgerissenem Mund und Augen auf dem Rücksitz lag, umgeben von seinen Gedärmen, die aus einer klaffenden Öffnung im Bauch hervorquollen. Neben ihm lag die Menschenfrau in einer großen Blutlache. Ihr Gesicht, das tiefstes Entsetzen ausdrückte, war direkt auf ihren Sohn gerichtet.

Der Junge wurde leichenblaß, doch dann schrie er los.

„MA! DAAAAD!!!“

„Ganz ruhig, mein Kleiner“, sagte Bliss und riss mit einer schnellen Bewegung seiner Handklauen die Kehle des Menschen auf. „Gleich bist du wieder bei ihnen.“

Das Schreien des Jungen wurde zu einem Gurgeln, als das Blut in Strömen aus seinem Hals spritzte. Er brach zusammen und wand sich zuckend auf dem Boden, während die beiden Saurier ruhig auf ihn herabblickten, bis der Mensch den Todeskampf schließlich verlor.

„Das wär`s gewesen“, sagte Bliss, packte den leblosen Körper des Jungen und warf ihn in den Wagen. „Dann können wir ja.“

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Der Mond tauchte die Waldlichtung in gedämpftes Licht, während der Megaraptor und der Suchomimus zwischen den Leichen der drei Menschen im Auto saßen.

„Hat doch wieder mal gut geklappt“, meinte der Sucho. „Auch wenn`s stressig für dich war.“

„Ach, das war es auch irgendwie wert.“ Der Raptor riss einen großen Fleischbrocken aus der Brust des Menschenmannes und schluckte ihn gierig. „Unsere Regierung ist unmöglich. Verscharrt die Menschen in Massengräbern, obwohl sie so schmackhaft sind.“

Der Suchomimus lachte. „Deshalb sehen wir ja auch zu, daß wir unseren Anteil so bekommen. Ich hoffe nur, daß Jarva nicht hinter unsere Festessen kommt. Ist schon ein Wunder, daß sie immer noch der Meinung ist, wir würden den Menschen über die Grenze helfen.“ Er nahm eine abgetrennte Menschenhand und biß herzhaft hinein. „AU!“

„Was ist?“

Der Sucho schüttelte sich. „Hätte ich mir doch fast einen Zahn ausgebissen.“ Er spuckte den störenden Gegenstand auf den Boden.

Lächelnd beobachtete Bliss, wie der goldene Ring mit dem eingravierten T auf dem Boden einige Male hin und her rollte, langsamer wurde und schließlich neben seinem Fuß liegenblieb.

Ende

 

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